WAZ-Serie: Ein absolut lebenswertes Leben

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Lebenshilfe Dorsten

Die WAZ sprach mit Dr. Annette Hoppe, Elke Krause und Henny Dobritz von der Lebenshilfe Dorsten (v.li.).

Dorsten. Eines stellen die drei Frauen von der Lebenshilfe gleich zu Beginn des Gespräches klar: Trisomie 21 ist keine Krankheit und Menschen mit Down-Syndrom leiden auch nicht daran. Aber wie soll die Gesellschaft das wissen, wenn selbst Ärzte auf ihre Überweisung schreiben „Das Kind leidet an Trisomie 21“. Dabei erkennen Elke Krause, Leiterin der Frühförderstelle, Henny Dobritz, stellvertretende Vorsitzende der Lebenshilfe und Vorstandsmitglied Dr. Annette Hoppe durchaus, wieviel sich getan hat im Bewusstsein der Menschen: „Immerhin redet man heute nicht mehr von ‘Mongolismus’“, meint Dr. Hoppe und Henny Dobritz ergänzt: „Oder von ‘Mongos’.“

Es hat sich viel getan in den Jahren

Es hat sich viel getan in den Jahrzehnten, im Wissen um die Trisomie 21, aber auch bei den Hilfen, die man Eltern und Kindern heute geben kann. Das sah ganz anders aus, als 1968 Henny Dobritz Sohn Oliver mit dem Down-Syndrom zur Welt kam. Ein absoluter Schock für die erst 25 Jahre alte Mutter und ihren Mann Wolfgang. Hätte es den neuen Praena-Test oder die schon länger angewendete Fruchtwasseruntersuchung oder die Punktion des Mutterkuchens damals schon gegeben, hätte aber wohl trotzdem kein Arzt den blutjungen Dobritz’ eine Untersuchung empfohlen, weil sie eben gar nicht in die Altersgruppe fielen, die ein erhöhtes Risiko für diese Zellteilstörung hat.

Heute weisen alle Ärzte werdende Mütter, die älter als 35 Jahre sind, auf das Risiko, die Untersuchungen und den möglichen Schwangerschaftsabbruch hin. Annette Hoppe hat bereits beobachtet, dass vor allem noch junge Eltern neu mit einem Down-Syndrom-Kind zur Lebenshilfe kommen, die dann auch meist von der Behinderung ihres Kinder völlig überrascht wurden.

Für Eltern ist es zunächst ein Schock

So wie es auch bei der Ärztin selber war, als vor 23 Jahren ihre Tochter Martina mit Trisomie 21 geboren wurde. Als Medizinerin wusste sie, was das bedeutet. Was sie damals nicht wußte, sondern erst durch das Leben erfahren hat ist, „dass das Leben mit Down-Syndrom absolut lebenswert ist“. Sie fürchtet die Selektion, die der Praena-Test mit sich bringt und seine schnelle Verfügbarkeit, die keinen Raum mehr lassen könnte für ein Überlegen und Abwägen. Und sie hat auch Sorge, dass dies nur der Anfang für weitere Gentests und Selektionen sein könnte.

„Ich arbeite seit 25 Jahren in der Frühförderstelle und habe viele Kinder mit Trisomie 21 und ihre Familien kennengelernt. Viele Eltern sagen ganz ohne Pathos: ’Diese Kinder sind ein Geschenk.’ Und das wird auch von den Geschwistern so erlebt.“

Ein Kind mit Behinderung zu haben, ist eine Herausforderung für die Eltern, eine schwere, lebenslängliche Aufgabe, und alle Eltern fragen anfangs nach dem Warum. Leichter können Eltern damit umgehen, wenn sie ihr Kind so annehmen, meint Elke Krause.

Von Geburt an bis ins Alter gibt es heute Hilfe und Unterstützung, auch finanzieller Art. Es geht los mit der Frühförderstelle, wo Neugeborene bis zum Kindergartenalter betreut und gefördert werden und auch immer Eltern und Geschwisterkinder im Blick bleiben. Über den Integrativen Lebenshilfe-Kindergarten, Integrative Schulklassen oder Haldenwangschule, die Behinderten-Werkstatt in Wulfen, zwei Wohnheime und das ambulant betreute Wohnen der Lebenshilfe, ist in Dorsten jeder Lebensbereich abgedeckt.

Die Lebenshilfe ist Ansprechpartner

Und so sieht sich die Lebenshilfe als Ansprechpartnerin für betroffene Eltern, die ihnen Wege aufzeigen kann für ein Leben mit behindertem Kind und ihnen auch Kontakte zu anderen betroffenen Eltern vermitteln kann. Denn: „Alle Kinder sind individuell verschieden und sehr durch ihre Familien geprägt, das unterscheidet sich nicht von anderen Kinder“, betont Annette Hoppe. Verschieden ist auch die Schwere ihrer Behinderung. Manche machen große Fortschritte in ihrer geistigen Entwicklung, andere nicht - so wie ihre Tochter Martina. Auch sie lebt aber inzwischen nicht mehr zu Hause, sondern in einem Wohnheim der Lebenshilfe. Henny Dobritz Sohn Oliver war geistig sehr rege, durch eine schwere Herzerkrankung aber stark eingeschränkt. Er ist 2007 mit nur 39 Jahren gestorben. Das Schicksal war nicht immer leicht, aber Henny Dobritz sagt: „Ich kann den Eltern nur empfehlen, es anzunehmen.“

„Die Gesellschaft heißt Menschen mit Behinderung nicht willkommen“, wissen die drei Frauen und wünschen sich, dass man von Integration und Inklusion nicht immer nur redet, sondern endlich auch anfängt, sie zu leben!

Ute Hildebrand-Schute

http://www.derwesten.de/staedte/dorsten/ein-absolut-lebenswertes-leben-id6900623.html

 

 
 
 
 

Lebenshilfe Dorsten e.V., Barbarastraße 70, 46282 Dorsten